Scolari: "Mein Team ist bereit"
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Luiz Felipe Scolari hat eine schwere Aufgabe. Er soll Brasilien bei der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ im eigenen Land den Titel bringen. Eine Erfahrung, die er bereits 2002 bei der Europameisterschaft in Portugal machte. Felipão blickt dem Turnier jedoch mit Vorfreude entgegen und ist zuversichtlich. FIFA.com sprach exklusiv mit ihm über den Druck, Tradition und den Stand seiner Vorbereitungen. 
In 100 Tagen beginnt die WM. Ist Brasilien bereit, den Titel zu holen?
Was unsere Planungen für die Weltmeisterschaft angeht, ist Brasilien bereit. Alles ist organisiert, definiert und gut in die Wege geleitet. Wenn wir uns jetzt an diesen Fahrplan halten, wird wahrscheinlich alles gut gehen.
Jedes andere Ergebnis als ein Sieg im Endspiel würde von der brasilianischen Öffentlichkeit als Scheitern gewertet werden. Denken Sie persönlich auch so?
Ich denke da vollkommen anders. Ich habe bereits einige Erfahrungen gemacht und ein paar Situationen erlebt, in denen Mannschaften selbst dann von den Fans Beifall bekamen, wenn sie nicht Meister oder Vizemeister geworden sind oder den dritten Platz belegt haben. Viel mehr hängt vom Auftritt des Teams ab. Wenn man an einer Weltmeisterschaft teilnimmt und den Status Brasiliens hat, erwartet natürlich niemand etwas anderes als den Weltmeistertitel. Darauf arbeiten wir auch hin – aber mit dem gebührenden Respekt für die anderen Mannschaften, die ebenfalls mit diesem Ziel in den Wettbewerb gehen. Zu Hause in Brasilien werden wir unsere Qualität einsetzen, um unser Ziel zu erreichen. Wenn uns das nicht gelingt, dann wird es daran gelegen haben, dass es andere gab, die besser waren als wir.
Steigt der Druck auf die Mannschaft, weil das Turnier im eigenen Land stattfindet?
Die Erwartungen sind höher, weil es die zweite WM ist, die in Brasilien stattfindet, und weil wir die Chance haben, das zu erreichen, was wir beim ersten Mal nicht erreicht haben. Aber wir haben starke Gegner, die dasselbe Ziele verfolgen.
Sie haben bereits einen anderen großen Wettbewerb vor heimischem Publikum bestritten, und zwar die Europameisterschaft 2004 mit Portugal. Damals mussten Sie sich im Finale gegen Griechenland geschlagen geben. Welche Lehren haben Sie aus dieser Nieder­lage gezogen?
Diese Erfahrung war hilfreich, ich habe jetzt einen besseren Blick dafür, wie wir ein Finale angehen müssen und wie ein Team, das zu Hause in ein Finale einzieht, sich organisieren und arbeiten muss, um das große Ziel zu erreichen. Ich weiss, dass wir es genießen können, zu Hause zu spielen. Gleichzeitig müssen wir uns bewusst sein, dass wir stärker leiden, wenn wir unser Ziel nicht erreichen. Diese Erfahrungen werden wir bei der Arbeit mit unseren Spielern nutzen können.
Wie schätzen Sie die Nationalteams von Mexiko, Kamerun und Kroatien ein, Ihre Gegner in der ersten Runde?
Kroatien spielt einen guten, technisch ausgefeilten Fussball. Die Spielweise ähnelt dem südamerikanischen Fussball, der sich durch gute Arbeit am Ball auszeichnet. Diese Mannschaft praktiziert nicht mehr die Spielweise früherer Tage, die an den englischen Stil erinnerte, sondern ist technisch sehr versiert und spielt auf dem entsprechenden Niveau. Kamerun ist eine afrikanische Mannschaft mit viel technischer Qualität. Oftmals haben wir etwas Bestimmtes von ihnen erwartet und alles kam anders. Oder wir erwarteten nichts – und dann überraschte das Team alle. Mexiko hingegen ist einer unserer traditionellen Gegner. Die Mexikaner spielen hochklassigen, guten Fussball. Die Begegnungen zwischen Brasilien und Mexiko haben Tradition und sind immer kniffelig.
Kommt die Tatsache, dass diese Teams einen technisch ausgefeilten Fussball spielen, Brasilien entgegen?
Ja, weil das auch unsere bevorzugte Spielweise ist. Wenn wir gegen andere Teams antreten, die ebenfalls guten Fussball spielen, ist das immer interessant für uns. Brasilien hat oftmals schlecht gegen Mannschaften ausgesehen, die eine andere Herangehensweise haben, die eher Anti-Fussball spielen und auf die Zerstörung des gegnerischen Spieles ausgerichtet sind. Da ist es besser, gegen Teams zu spielen, die gut oder sogar besser als Brasilien sind, denn bei solchen Spielen sind wir in der Lage, den Gegner zu schlagen. An Spiele wie beispielsweise gegen Spanien können wir mit dem gewohnten Elan, ohne Aufregung und psychologische Hindernisse herangehen.
Wurde der Rest der Welt durch den Erfolg Spaniens und des FC Barcelona in den letzten Jahren gezwungen, sich mit diesem Kurzpassspiel auseinanderzusetzen?
Ich glaube, die Eigenschaften der Spieler, die beim FC Barcelona aktiv waren, haben sich nach und nach ergänzt. Nun analysieren natürlich alle das Wieso und das Warum. Aber diese Art des Fussballs ist auf die Zeit beschränkt, in der sie erfolgversprechend ist. Wir hatten vor Jahrzehnten bereits den italienischen Fussball, den wir sehr gut analysieren mussten, oder auch die deutsche Spielweise. Es gab bereits früher unterschiedliche Eigenschaften, die jeder Trainer genau beobachten und erlernen musste, um einen Nutzen daraus zu ziehen.
Sie haben auch in arabischen Ländern gearbeitet und kennen den Weltfussball sehr gut. Glauben Sie, dass eine asiatische oder afrikanische Mannschaft bei dieser WM für eine Überraschung sorgen kann?
Für eine Überraschung schon. Aber den Weltmeistertitel zu holen, wird sehr schwer werden, weil die Fussballmächte noch immer bessere Möglichkeiten haben. Sie können auf eine Tradition zurückblicken und spielen kompakter. Das sind Mannschaften, die mehr Erfahrungen vorweisen können und mehr gute Spieler zur Verfügung haben. Das erhöht die Erfolgschancen. Es mag die eine oder andere europäische oder südamerikanische Mannschaft in der Aussenseiterrolle geben, die eine Chance hat. Ich glaube allerdings nicht, dass ein Team aus Afrika oder Asien im Augenblick in der Lage ist, eine Weltmeisterschaft zu gewinnen.
Sie trainieren eine solche Traditionsmannschaft. Wie setzen Sie diese Tatsache ein, um Ihre Spieler zu motivieren?
Wir halten den Spielern vor Augen, was erreicht wurde. Wir zeigen ihnen, was sie in ihrer eigenen Karriere und mit der Nationalmannschaft erreichen können. Wir machen ihnen deutlich, auf welche Weise Brasilien seine Titel errungen hat: mit Engagement, mit Temperament und mit Klasse. Und wir geben ihnen das Selbstvertrauen, das sie brauchen, um ihre hervorragenden spielerischen Fähigkeiten in die Praxis umzusetzen.
2002, als Sie mit Brasilien Weltmeister wurden, standen Ihnen Ausnahmespieler wie Cafu, Roberto Carlos, Rivaldo, Ronaldinho und Ronaldo zur Verfügung. Ist diese neue Generation genauso stark wie die vorherige?
Man kann nicht nur das Talent vergleichen. Die Auswahl von 2002 hatte mehr Erfahrung. Das aktuelle Team hingegen verfügt über viel Spielfreude und Dynamik. Damals war vielleicht die Erfahrung entscheidend, aber wer weiß, ob heute nicht Dynamik und Spielfreude wichtiger sind.
Die WM rückt näher, es ist viel von organisatorischen Problemen, Verspätungen beim Stadionbau und politischen Scharmützeln die Rede. Lassen Sie sich davon auf irgendeine Weise beeinflussen?
Nein. Ich sorge dafür, dass uns solche Umstände nicht beeinflussen, denn sie betreffen uns nicht. Wir sind natürlich als Menschen, als Bürger und als Brasilianer betroffen, müssen hier aber klar unterscheiden können und dies auch unseren Spielern vermitteln, damit auch sie eine Grenze ziehen und sich auf ihre Aufgabe auf dem Spielfeld konzentrieren können. Jeder hat seine eigene Meinung, aber jeder Spieler muss die gesamte Konzentration, die Aufmerksamkeit und den Fokus allein auf die Aufgabe richten, für die er berufen wurde. Es gab emotionale Reaktionen der Spieler. Wir sprechen offen darüber und sie können ihre Meinung über die sozialen Netzwerke kundtun. Aber in der Mannschaft haben wir unsere Regeln und an die halten wir uns.
Sie waren zwei Jahre alt, als die Weltmeisterschaft zum ersten Mal in Brasilien stattfand ...
An den Einzug von Brasilien ins Finale 1950 kann ich mich natürlich nicht erinnern. Die meisten Leute haben eine bittere Erinnerung an unsere Niederlage gegen Uruguay. Da bin ich ganz anderer Meinung. Die damaligen Spieler haben eine Tür aufgestossen und uns auf einen Weg gebracht, der uns fünf Weltmeistertitel eingebracht hat. Das ist die Sichtweise, die ich weitergebe, die ich den aktuellen Spielern über ihre Vorgänger bei der WM von 1950 vermittle.
Was werden Sie am 13. Juli um 16 Uhr tun?
Naja, ich weiß, dass am 13. Juli das Finale stattfindet. Wenn es also um 16 Uhr beginnt, werde ich am Spielfeldrand stehen und mich vorbereiten. Ich habe dann schon voller Freude, Inbrunst und Dynamik die Nationalhymne gesungen und hoffe, dasselbe von meinen Spielern und dem Publikum sagen zu können.